Wie aus Angsthunden Therapiehunde wurden

Therapiehunde suchten wir eigentich nicht, aber es kam anders als gedacht. Unsere gemeinsame Geschichte begann vor knapp 6 Jahren. Da unsere alte Hündin inzwischen bereits stolze 18 Jahre alt war, suchten wir einen Zweithund. Auf der Webseite des Tierschtzliga-Dorfes fanden wir eine hellbraune Hündin, die wir uns ansehen wollten. Soweit sollte es aber nicht kommen, denn bereits im 2. Abteil saß ein kleines, völlig verängstigtes Etwas, dass uns so durchdringend ansah, dass wir nicht weitergehen konnten. Die Pfleger holten das kleine Hundemädchen heraus und gemeinsam mit unserer alten Dackeldame ging es auf eine kleine Kennenlernrunde. Die beiden Hundemädchen wackelten mit einer Selbstverständlichkeit gemeinsam los, die uns die Entscheidung abnahm. Kurz darauf zog Minimi bei uns ein, mit ihr begann eine Reise in eine uns unbekannte Welt.

Lernen zu leben

Sie war ca. 2 Jahre alt und kannte fast nichts. Jeder Schmetterling, Käfer, Blätterrauschen, selbst Grashalme ängstigten die Kleine, dazu kam der Alltag in der Jugendherberge mit 120 Kindern. Noch nie hatten wir einen Hund gesehen, der sofort seinen eigenen Kot fraß. So fingen wir an, Minimi Schritt für Schritt die Welt zu zeigen, häufig stießen wir an unsere Grenzen, denn diese permanente Angst lähmte dieses kleine Tier. Ohne den stabilen Ersthund hätten wir es kaum geschafft. Irgendwann begann der Knoten sich zu lösen und Minimi lief mit staunenden großen Augen durch die Welt und saugte alles in sich auf, wie ein kleines Kind. Dieses Verhalten hält bis heute an und brachte ihr den Spitznamen „Baby“ ein. Auch die vielen Kinder machten ihr plötzlich keine Angst mehr, denn der Anreiz von Kuscheln und Leckerlis war größer.

therapie-hund Von Menschen und Hunden - Therapiehunde aus dem Tierheim
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Nichts ist für immer

Nach einem Jahr starb unsere alte Dackeldame mit 19 Jahren, für Minimi ein Schock. Wir wussten, ohne einen zweiten Hund würde Minimi nicht glücklich sein und begannen die Suche nach einer neuen Partnerin. Im Tierschutzliga-Dorf gab es zur damaligen Zeit keine Hündin, die vom Alter und der Größe her passte. Im Bürorudel der Tierheimchefin wohnte aber eine extrem ängstliche Sheltiemix-Hündin. Wir verliebten uns sofort in die kleine Maus und nahmen sie trotz aller Bedenken kurzerhand mit. Gleichzeitig vereinbarten wir, dass wir sie nach dem Wochenende wieder bringen würden, sollte es gar nicht funktionieren. Sie blieb und so trat nun Fenja in unser Leben.

Schlimmer geht’s immer

Wir hatten ja geglaubt, der Anfang mit Minimi war hart, aber Fenja stellte alles bisher je dagewesene in den Schatten. Dazu muss man wissen, dass sie sich mit Leckerlis in keinster Weise bestechen lässt. Vier Wochen lang rannte sie Nacht für Nacht durch die Wohnung, musste alle 2 Stunden raus, tagsüber in der Bürobox ging es halbwegs. Bis zum Büro aber war es tagtäglich ein langer Weg, denn es war extrem schwierig, mit Fenja die Wohnung zu verlassen, sobald es hell wurde. Ins Auto ließ sie sich nur sehr widerwillig heben. Fast ein halbes Jahr lang lag ich Tag für Tag in unserer Wohnung auf dem Bauch, bevor Fenja sich das erste Mal freiwillig streicheln ließ. Weitere 4 Monate dauerte es, bevor sie freiwillig ins Auto stieg, noch 6 Monate vergingen damit, Fenja im Wald davon zu überzeugen, mit dem Auto nach Hause zu fahren. 3 Jahre später kam Fenja das erste Mal freiwillig auf die Couch. Alles was für andere Hunde im Alltag „normal“ ist, musste Fenja Schritt für Schritt in ihrem eigenen Tempo lernen.

Therapie beidseitig

Wie verhilft man solchen Hunden zu mehr Selbstbewusstsein? Mit Arbeit – so unser Plan. Fenja wollten wir vom Schafe hüten überzeugen. Anfangs gefiel ihr es recht gut, aber richtig glücklich wurde sie damit nicht. Um den Hunden eine Abwechslung zu bieten, besuchen wir seit ca. 2 Jahren alle 14 Tage die Hundeschule „Schlaubetaler Hundeakademie“. Die Mädels finden Dogdance, Tricktraining, Suchspiele usw. super. Mit dem Clicker, freiem Formen und unterschiedlichen Varianten der Konditionierung können die Hunde sich völlig zwanglos ausprobieren und weiter entwickeln. Auch Rally Obedience, Hoopers Agility uvm. haben wir für uns entdeckt.
Schon lange hatten wir bemerkt, wie sehr sich unser Umfeld inzwischen für die Entwicklung der Hunde interessierte. Da sich die beiden Mädels inzwischen selbstbewusster auf dem Hof bewegten, wuchs auch das Interesse unserer kleinen und großen Gäste an ihnen. Die Idee, ein Hundeprogramm für Kindegruppen zu entwickeln, war geboren. Wir wollten den Kindern erklären und zeigen, wie man richtig/artgerecht mit den eigenen sowie fremden Hunden umgeht. Dabei sollten die Kids uns zuerst beim Training zusehen, ein kleiner Workshop anschließend folgen.

Sie haben es in sich

Ein weiteres Mal überraschten uns Fenja und Minimi, denn sie wollten etwas mit den Kids zusammen machen, eine willkommene Abwechslung im Alltag. Fenja, die bis heute ungern apportiert, holte gemeinsam mit Mini die Bälle, die die Kinder warfen und nahm ihnen sogar ein Leckerli ab. Also gingen wir einen Schritt weiter und holten die Kinder paarweise auf den Trainingsplatz. Problemlos reagierten die Mädels auf die Sichtzeichen der Kinder und folgten ihnen mit viel Spass über unsere kleine Trainingsbahn. Fenja legt „ leider“ auch heute noch großen Wert darauf, dass sich kein Betreuer den Kindern während des Programms nähert. Da gewinnt der Hütehund in ihr. Sie beißt zwar nicht, zeigt aber mit ihrer Körpersprache deutlich, dass sie es nicht möchte. Es ist und bleibt unsere Aufgabe, Fenja den Rahmen zu schaffen, in dem sie ohne Stress agieren kann.
Unseren Hof besuchen auch sehr viele Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen, auch ihnen wollten wir mit unserem Angebot, Freude am Umgang mit Hunden vermitteln. Selbstverständlich machten wir uns Sorgen, wie die Hunde auf diese Gästegruppen reagieren würden, denn sie bewegen und artikulieren sich anders. Zwei kleine Hunde aus dem Tierschutz lehrten und lehren uns, dass nur wir Menschen uns solche Gedanken machen bzw. Berührungsängste haben.

Sie machen keinen Unterschied

Für beide Hunde war es von Beginn an überhaupt kein Problem, sich darauf einzustellen. Klar nehmen sie bei jeder neuen Gruppe vorsichtig Kontakt auf, denn sie wissen ja nicht, wie ihr Gegenüber reagiert. Aber dies dauert nur einige Sekunden und dann „spulen“ sie ihr Programm ab. Sie haben inzwischen gelernt auf Tischen zu arbeiten, da behinderte Menschen meist motorisch sehr eingeschränkt sind. Fenja legt sich seitwärts auf den Tisch, so dass ich sie z.B. an den Rollstuhlfahrer ran schieben kann. So hat dieser die Möglichkeit, den Hund zu streicheln. Minimi apportiert alles Mögliche, legt es den Menschen in den Schoß, in die Hand oder einen Korb. Fenja hat eine besondere Verbindung/Zuneigung zu Menschen mit dem Down Syndrom. Man kann nicht alles erklären bzw. verstehen, was zwischen Hund und Mensch passiert. Immer wieder machen die Mädels uns mit ihrem Gespür für die Situation sprachlos. Allein 2016 nutzten über 800 Menschen unser Angebot mit den Hunden. Vom Kindergartenkind, Schulklassen, Vereinen, Behinderteneinrichtungen bis zum Seniorenzentrum reichte die Spanne.

Dazu noch Ausbildung

Um unsere therapeutische Arbeit mit Fenja und Minimi noch effektiver gestalten zu können, begannen wir unsere Ausbildung als Kynotherapeuten bei Little Big Dogs in Berlin, die wie im April 2017 erfolgreich abschlossen. Mit dieser Ausbildung ist es uns möglich, unsere therapeutische Arbeit mit Fenja und Minimi noch effektiver zu gestalten. Viele Kinder und Jugendliche werden perspektivisch davon profitieren.
Wir danken dem Team vom Tierschutzligadorf dafür, dass sie jedem Tier eine Chance geben. An Fenja und Minimi sieht man, was alles möglich ist.

Ihre Heike Schönberg

www.awo-erlebnishof-beeskow.de

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