Wenn die Verantwortung ihre Koffer packt

Die Tierheime stehen vor einer Katastrophe

Wo ist sie hin, die Verantwortung? Sie ist einfach gegangen und hat uns fassungslos zurückgelassen. Denn: Die Tierheime stehen vor einer Katastrophe.

Für sie war es schon immer schwer, zu überleben; doch in den heutigen Zeiten wird es noch schwerer.

Wer im Tierheim arbeitet, kennt ein Wort nur zu gut: Sorge. Sorge um die Tiere, Sorge um die Kosten, Sorge darum, ob man das nächste Jahr wieder gestemmt bekommt.

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Unsere Sorge steigt noch einmal immens, wenn wir im Rückblick betrachten, was in den vergangenen ein bis zwei Jahren auf uns eingeprasselt ist und sich stark auswirken wird auch auf morgen und übermorgen: Abgabeanfragen für Tiere ohne Ende, Fundtiere ohne Ende.

Das großen C soll die alleinige Schuld haben – Corona. Alle hatten plötzlich Zeit, alle wollten ein Haustier. Schön und gut. Doch damit sind wir wieder beim Thema der Verantwortung angelangt: Denn warum sind die Tierheime heute am Rand ihrer Aufnahmekapazitäten, statt nach den Coronajahren leer zu sein? Gründe dafür sind insbesondere der Internethandel, der illegale Welpenhandel sowie unüberlegte und schlecht gestaltete Auslands-Direktadoptionen. Und jetzt ist natürlich der obskure Online-Händler nicht mehr zu erreichen. Oder der Auslandsverein, der keinen Plan B für den Fall hat, dass es mit dem Hund nicht klappt, weiß keinen Rat. Auch ist der Kofferraumverkäufer längst über alle Berge. Und unser Hinweis, die Hunde erstmal anständig zu sichern und einen Trainer hinzuzuziehen, verhallt ungehört. Das Tier muss ganz einfach weg! Am besten gestern.

Jeden Tag die gleichen Anrufe: „Der Hund mag unsere Kinder nicht“, „Wir müssen wieder arbeiten“, „Das wird uns alles zu viel, weil wir den gerettet haben und nun nicht klarkommen“, „Der Hund kann nicht allein bleiben“, „Der Hund hat gebissen“ – die Liste ist lang. Und wir seien ja schließlich dafür da! Dann müssen wir erst einmal aufklären: „NEIN, sind wir NICHT!“ Wir sind dafür da, Fundtiere aufzunehmen und für die Ämter Sicherstellungen einzustellen. Alles andere ist FREIWILLIG!

Hinter so manchem Abgabevorhaben dürften auch die allgemein steigenden Preise stecken. Und wenn wir dann – sofern wir überhaupt einen freien Platz haben – eine angemessene Abgabegebühr verlangen, fällt den Tierhaltern oftmals die Kinnlade runter: „WIE? Ihr wollt Geld dafür?“ Ja, selbstverständlich, weil wir dieses Geld dringend benötigen. Denn sobald wir das tun, was die Halter verweigern, nämlich die Verantwortung für das Lebewesen zu übernehmen, entstehen ganz einfach Kosten: Für Futter, Strom, Gas, Tierärzte und unser Personal. Verantwortung der Abgebenden? Die scheint mit dem großen C tatsächlich ihre Koffer gepackt zu haben. Die Halter versuchen es sogar mit emotionaler Erpressung: „Nehmen Sie das Tier nicht auf, lassen wir es eben einschläfern.“ Oder der Auslandsverein ohne Plan B „droht“ damit, das Tier wieder dorthin zu verfrachten, wo es herkommt.

Wir mögen diese Aussage von Antoine de Saint-Exupery: „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“ Deshalb fragen wir sehr bewusst alle, die sich ein Tier anschaffen wollen, ob sie es sich tatsächlich leisten können. Und ob sie die Zeit und die Nerven dafür haben. Doch wer im Internet kauft, dem wird diese Frage nicht gestellt.

Wo ist sie hin, die Verantwortung? An ihr mangelt es oftmals schon von Beginn an. Denn viele der während des großen C‘s angeschafften Tiere wurden nie beim Tierarzt durchgecheckt. Jetzt sollen wir das ganz selbstverständlich übernehmen, mitsamt aller dafür anfallenden und folgenden Kosten. Fällt es den Menschen so schwer, Verantwortung zu übernehmen, weil sie sich bloß etwas „angeschafft“ haben? Denn heutzutage ist es kaum etwas anderes, als eine „Anschaffung“, wenn selbst Tiere jeglicher Art und Wunschfarbe sofort (!) zu haben sind.

Doch Verantwortung zu übernehmen, ist offenbar für immer mehr Leute verzichtbar – sie laden sie vielmehr ganz selbstverständlich auf unsere Schultern, die langsam, aber sicher, ohne ausreichende Unterstützung, schwer und müde werden. Wann endlich wird sich die Politik ernsthaft mit diesem Thema beschäftigen? Mit dem Internethandel, mit dem illegalen Welpenhandel etc. Solange wir weitere Tiere aufnehmen können (was allerdings nicht mehr lange der Fall sein wird), wird sich vermutlich nichts ändern. Und solange es möglich ist, ein ungewolltes Tier über das Internet verschachern zu können, mit wunderbaren Lügengeschichten, wird sich nichts ändern. Auch wird sich nichts verändern, solange Menschen für kleines Geld ein Tier in Sonderlackierung bestellen und aus dem Kofferraum heraus kaufen können.

An dieser Stelle sei betont: Das Problem sind gerade nicht nur die knappen Aufnahmekapazitäten. Auch wir Mitarbeitenden von Tierheimen sind aufgrund dieser Situation langsam am Rand unserer Kräfte.

Deshalb müssen Lösungen her. Dringend. Wir können sie vorschlagen, aber leider nicht für deren Umsetzung sorgen. Wir können nur warnen: Zum Beispiel davor, dass viele aus dem Kofferraum heraus gekauften Welpen schon kurz darauf im Tierheim abgegeben werden. Dies und anderes muss schnell beendet werden. Bevor es zu spät ist – und auch hier Verhältnisse eingetreten sind, wie sie in einigen Ländern schon vorherrschen. Im schlimmsten Fall wäre das eine festgesetzte Vermittlungsfrist für jedes Tier mit der schrecklichen Perspektive, dass es sterben muss, wenn es bis zum Ablauf dieser Frist kein Zuhause gefunden hat. Das wären in Deutschland fast 50 % der Hunde, die in Tierheimen sitzen. Weil der Mensch die Verantwortung einfach abgegeben hat. Doch Verantwortung sollte nicht so einfach abzugeben sein, wie ein abgetragenes paar Schuhe.

Ihre Tanja Tiedtke

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10.11.2022|