Das ist der Grund, warum wir morgens aufstehen
Häufig werde ich gefragt, wie ich den traurigen Tierheimalltag aushalte. Wie ich es verkrafte, dass ich immer wieder mit Tiermisshandlung, Vernachlässigung, mit uneinsichtigen Menschen, mit Tierleid und Tiertod konfrontiert werde. Für mich gibt es nur eine Antwort: Mit Happyend- Geschichten. Mit den guten Seiten dieser Arbeit, mit den Tierfreunden, die Tiere ehrlich und aufrichtig lieben, mit den guten Menschen, die ich hier auch tagtäglich kennenlerne, die alles für ihren Vierbeiner tun, die nicht einfach aufgeben, weil das Tier einmal Unfug macht oder weil es einmal unbequem ist. Ich treffe hier Menschen, die selbstlos für Tiere da sind, Menschen, die für unsere Arbeit und für die Tiere spenden, immer wieder und einfach helfen, wenn wir sie brauchen.
Ja, und ich verkrafte es auch durch den Gedanken, dass wir für unsere Tiere immer da sind, die hierbleiben, für die kurze Zeit, die ihnen noch auf der Erde gegeben ist. Wir sind für sie da bis zum letzten Atemzug, wenn es sein muss. Es ist im ersten Moment immer schrecklich, wenn wir zum Beispiel zu einem Hof mit schwerkranken Katzen kommen.
Wenn die Fliegen bereits um die mit Eiter verklebten Katzen surren. Bei jeder Bewegung der Katze fliegt der Schwarm auf und setzt sich sofort wieder
herab auf das sterbende Tier. Ja, das ist so ein Moment, wo wir alle schlucken müssen, wo wir mit den Tränen kämpfen und einfach nur noch mechanisch handeln, wo nur noch der Verstand arbeitet, das Herz hinten angestellt wird. Katze sichern, schnell zu uns ins Tierheim zur Tierärztin und sofortige Notfallbehandlung.
Ja, und wenn diese Katzen dann durch die liebevolle, wochenlange Behandlung der Tierpfleger und Tierärztin wieder auf die Pfoten kommen. Wenn sie anfangen zu schnurren, ihr Köpfchen in die Hand zu legen, wenn sie dick und rund sind, munter und fröhlich. Ja, dann ist die Welt wieder für uns alle in Ordnung. Wir haben alles richtig gemacht, die Mühe und die Sorgen haben sich gelohnt.
Oder wenn uns ein Würmchen von einem Kätzchen gebracht wird. Dem Tode näher als dem Leben. Die Ohren hängen herab, kein Pieps gibt es mehr von sich, so krank und traurig ist es. Man fühlt das Leid dieses kleinen Wesens, welches der Mama entrissen wurde und nun niemanden mehr auf der Welt hat. Wir päppeln es, bangen mit ihm, wärmen es und geben ihm Zuwendung, Stunde um Stunde. Und wenn dieses Würmchen dann das erste Mal mauzt, sich uns entgegenstreckt, die Augen aufmacht und uns anschaut – dann wissen wir, jetzt ist es gerettet. Jetzt geht es bergauf. Und wenn dieser Zwerg dann Menschen findet, die ihn genauso aus vollstem Herzen vom ersten Moment an lieben und ab sofort für ihn sorgen werden. Dann wissen wir wieder, wir haben alles richtig gemacht.
Auch wenn wir einen völlig verwahrlosten Hund aus einem Zwinger holen, abgemagert bis auf die Knochen, ohne Fell, der Körper und die Seele schwer krank. Die Besitzer sich keiner Schuld bewusst sind und wir unsere unbändige Wut einfach nur herunterschlucken und handeln. Wenn wir diesen Hund über Monate hinweg päppeln und pflegen. Ihm Zuwendung geben, seine seelischen und körperlichen Wunden langsam heilen sehen. Und dieser Hund dann eine Familie findet, trotz seiner „Mängel“. Wenn man dann nach einigen Monaten ihn mit seinen neuen Menschen wiedertrifft und man zweimal hinschauen muss, ob – weil er so gut aussieht, so glücklich und so im neuen Leben angekommen. Dann wissen wir, wir haben alles richtig gemacht.
Ja, und auch, wenn ich einen alten Hund zu mir ins Bürohunderudel nehme, weiß ich schon vorneweg: Es ist nur für eine begrenzte Zeit. Sie alle haben eben nur eine kurze Zeit auf dieser Welt. Doch die Tiere leben im Hier und Jetzt, nicht in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Es liegt an uns, ihnen ihre letzte Zeit angenehm und liebevoll zu gestalten. Egal, welches Leid sie erlebt haben, sie können alle einen Neuanfang starten und wieder Freude und Glück empfinden, wenn sie die Chance dazu bekommen. Und wenn sie dann gehen müssen, weil ihre Lebenszeit zu Ende ist, dann sind wir bei ihnen, bis zum letzten Atemzug. Es ist ein Verlust, doch es ist auch das Wissen, dass sie noch einmal richtig leben durften – glücklich, geliebt und umsorgt.
Und wissen Sie, was mich am meisten immer wieder Kraft schöpfen lässt? Dass es Menschen gibt, die unsere Arbeit unterstützen, es gut finden, was wir tun und für uns und die Tiere spenden oder uns sogar praktisch helfen. Ohne diese Hilfe von allen Seiten, durch die Hilfe von Ihnen – wären diese Happy End-Geschichten unmöglich!!!
Ihre Annett Stange
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