Zunächst ein kurzer Streifzug durch die Theorie. „Stress“, was ist das eigentlich?
Das Wort kommt aus dem Englischen, heißt „Anspannung, Druck“ und bedeutet eine physische oder psychische Reaktion auf bestimmte äußere Reize, die man Stressoren nennt. Lebewesen sollen somit befähigt werden, besondere Aufgaben zu bewältigen. „Stress“ heißt aber auch, dass damit körperliche, geistige und seelische Belastungen ertragen werden. „Stress“ umfasst sowohl die auslösenden Faktoren wie Stressoren bzw. Stimuli als auch die folgende körperliche Reaktion auf diese Stressoren.
Somit hat Stress eine wichtige biologische Funktion. Er ist die Antwort des Körpers auf physiologische oder psychologische Anforderungen an den Organismus. Der innere Gleichgewichtszustand wird durch einen Auslöser gestört. Die Stressreaktion dient dem Körper dazu, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Deshalb ist Stress zunächst nichts Negatives, er ist eine wichtige Reaktion des Körpers und kann als Anpassungsprozess an sich ständig verändernde Faktoren oder Situationen gesehen werden. Aber: Wenn es dem Körper nicht gelingt, das Gleichgewicht wiederherzustellen, kann Stress schädlich werden. Stress spielt somit beim Lernen und beim Training des Hundes eine wichtige Rolle.
Stressarten
Wir unterscheiden zwei verschiedene Arten von Stress: Eustress ist positiv erlebter Stress bei der Bewältigung schwieriger Aufgaben. Werden diese Aufgaben erfolgreich erledigt, führt das zu positiven Emotionen. Positiver Stress stärkt das Immunsystem und das Selbstvertrauen, besitzt eine gesundheitsfördernde und leistungsstimulierende Wirkung. Distress bedeutet negativ erlebter Stress, dessen Anforderungen den Organismus schädigen, so dass eine Anpassung nicht mehr möglich ist. Die Körperreserven werden angegriffen.
Was löst Stress aus? Was beeinflusst Stress?
Stress wird von jedem Individuum unterschiedlich empfunden je nach genetischer Disposition und bisheriger, individueller Lernerfahrung. Das Gleiche gilt für die Stressbewältigung.Auch sie ist abhängig von der jeweiligen genetischen Disposition und den bisherigen Erfahrungen in ähnlichen oder gleichen Situationen.
Mögliche Stressoren sind:
- Äußere Faktoren wie Überflutung mit Sinnesreizen und Informationen, Reizarmut, Schmerzen, reale oder simulierte Gefahrensituationen
- Mangelnde Befriedigung primärer Bedürfnisse: Entzug von Nahrung, Wasser, Schlaf, Bewegung
- Leistungsfaktoren: Überforderung, Unterforderung, Kritik, Leistungsdruck, unklare Anforderungen
- Soziale Faktoren: Isolation, Ablehnung in der Gruppe, Rangkämpfe, unangemessene Zurechtweisung, wenig Belohnung, Gedränge
- Psychosoziale Faktoren: Konflikte, Unkontrollierbarkeit, Ungewissheit, Ausgeliefertsein
- Krankheit, Veränderung der Lebensumstände, hormonelle Umstellungen (Pubertät, Kastration, etc.)
Im Leben unseres Vierbeiners gibt es ganz unterschiedliche äußere Einflüsse für Stress. Es kann der Hundeplatz sein, Hitze, Lärm, ein Gewitter, verschiedene Hundebegegnungen, Stadtspaziergänge, Hundesport, die Leinenführung oder sogar auch das Futter. Hier entscheiden zum einen die genetische Disposition, vorgeburtliche Einflüsse, ebenso wie die bisherigen Lernerfahrungen, die emotionale Beteilung und die situationsbedingte Umgebung.
Die emotionale Beteiligung ist von sehr großer Bedeutung. Ein gewisses Maß an Stress ist wichtig, um Stressbewältigung zu lernen. Kurze Stressphasen mit dazwischen geschalteten Erholungsphasen sind als sinnvolles Stresstraining zu sehen.
Stressbewältigung
Bei Stress finden im Körper eine Reihe von hormonellen und neuronalen Reaktionen statt, um das seelische Gleichgewicht wiederzufinden. Stresshormone sind: Adrenalin, vor allem bei psychischem Stress, und Noradrenalin, vor allem bei körperlichem Stress. Extrovertierte Hunde, man nennt sie A-Typ, arbeiten mit diesen beiden Stresshormonen. Und dann gibt es noch den B-Typ, den introvertierten Hund. Sein Körper arbeitet hauptsächlich mit dem Stresshormon Cortisol. Dieses Hormon ist der Gegenspieler zu Adrenalin und Noradrenalin.
Hunde zeigen in der Regel vier Verhaltensmöglichkeiten bei Stress:
Flight = Flucht
Fight = Angriff
Flirt = Arrangieren, Beschwichtigen
Freeze = Erstarren, Einfrieren
Welche Strategie der Hund ausführt, ist abhängig von genetischen Dispositionen und individuellen Erfahrungen, aber sie spiegelt auch den o.g. Hunde-Typ wider. Der A-Typ sucht eine Lösung der Situation durch aktives Verhalten, also Flucht oder Angriff. Der B-Typ begegnet der Situation passiv. Es erfolgt keine Verhaltensaktivierung, Verhalten wird unterdrückt, die Situation verdrängt.
Anzeichen von Stress
Stressreaktionen entsprechend seiner Typzugehörigkeit. Während der eine sehr aktiv wird, reagiert der andere sehr ruhig. Stressanzeichen müssen immer im Zusammenhang mit der Situation gesehen werden.
- Nervosität, Ruhelosigkeit, leichte Erregbarkeit
- Überreaktion, Aggressivität, Aggressivität gegenüber sich selbst
- Ängstliches Verhalten, Verstörtheit
- Zwanghafte Verhaltensstörungen: übertriebene Lautäußerungen, Wundlecken, Stereotypien, Leinebeißen, -zerren
- Ausblenden der Umwelt, Tunnelblick, mangelnde Konzentration
- Fixieren von anderen Lebewesen und Gegenständen
- Passivität und übermäßiges Schlafbedürfnis
- Beschwichtigungssignale in ungewöhnlichen Situationen
- Übersprungshandlungen: Gähnen, Aufreiten, Schütteln…
- Störungen im Magen-Darm-Bereich, Störungen des Immunsystems
- Unangenehmer Körpergeruch, Schaumbildung vorm Mund
- Hautprobleme, Schuppenbildung, Haarausfall, Schweißpfoten
- Appetitlosigkeit oder Fresssucht Veränderung der Augenfarbe, Glotzaugen
- Verhärtete Muskulatur, Strecken, Dehnen, Zittern
Der Umgang mit dem gestressten Hund
Akuter Stress verhindert logisches Denken. Unter dem Einfluss von Emotionen ist der Hund nicht in der Lage, logisch zu denken. Auch Impulskontrolle, soziale Hemmung, ist nicht mehr möglich, erlernte Mechanismen zur Stressbewältigung sind nicht mehr abrufbar.
Stattdessen greift der Hund auf altbewährte Verhaltensweisen zurück, wie Angriff oder Verteidigung. Andererseits kann die Konzentration auf eine schwierige Aufgabe auch helfen, Stressreaktionen zu bewältigen, weil das Limbische System und die Großhirnrinde sich gegenseitig blockieren. Stress kann aggressiv machen, denn er senkt die Reizschwelle des Hundes. Und je mehr der Hund den Stress als negativ empfindet, umso mehr kann er aggressiv reagieren. Ziel seiner Aggression kann jedes in der Nähe befindliche Lebewesen sein.
Training
Das Training muss stressarm sein. Wir vermeiden Unter- und Überforderung, unklare Befehle und Situationen durch unklare Ansagen und Konsequenzen. Das Training findet regelmäßig in ruhiger Umgebung statt und ist nicht zu lang. Die Methoden sind stressarm und haben ein hohes Maß an Routine und Regelmäßigkeit. Bitte keine Beschäftigungsmodelle, die ein hohes Erregungsniveau erreichen! Oft krankt es an mangelnder Sozialisation. Deshalb soll der Hund alternatives Verhalten erlernen.
Der Halter sollte dem gestressten Hund eine stabile, vertrauensvolle Beziehung bieten. Gut geeignet sind Aktivitäten, bei denen sich der Hund auf sich und sein Körpergefühl konzentrieren muss und mental gefordert ist: Balanceübungen auf Baumstämmen, Konzentrationsübungen, Mentaltraining, kleine Unterordnungsübungen, Suchspiele mit Futterbeutel oder/und versteckte Futterstückchen, Gegenstandssuche, Fährtenarbeit, relaxtes Nichtstun an der Leine, Schmusestunden. Insgesamt sehr wichtig: In der Ruhe liegt die Lösung! Wir etablieren ein Entspannungssignal und gönnen dem Hund gezielten, auf ihn abgestimmten Körperkontakt durch ruhige Streicheleinheiten. Bindung und Orientierung am Menschen sind für den Hund sehr wichtig in unsicheren Situationen. Der hilfesuchende Hund darf nicht ignoriert werden. Der Halter sollte Zufluchtsort für den Hund sein. Aber er darf ihn nicht in seiner Angst bestätigen. Und nun hoffen wir, dass wir Sie mit diesem Artikel nicht „gestresst“ haben! In diesem Sinne ein ruhiges, gemeinsames “Miteinander“ mit Ihrem Hund!
Ihre
Beate Hensler,
Tierparadies Breitenberg
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