Es werden etliche Rassen durch gezielte Zucht auf „süß“ getrimmt
Eigentlich hat es die Natur so geplant: Wenn der Nachwuchs unwiderstehlich süß ist, ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass er von den Eltern auf jeden Fall versorgt wird. Das sogenannte Kindchenschema war geboren. Es ist dieses genetische Programm in uns für automatische Fürsorge. Wir bemerken es besonders dann, wenn wir sogar für uns vollkommen fremde Kinder schnell Zuneigung empfinden. Doch das Kindchenschema wirkt auch beim Anblick süßer Tiere. Deshalb werden etliche Rassen durch gezielte Zucht auf „süß“ getrimmt.
Doch bei diesen Tieren verursachen die angezüchteten widernatürlichen Eigenschaften meist viel Leid, deshalb sprechen Tierschützer von Qualzuchten. Wir widmen uns heute den Folgen für betroffene Kaninchen. Hunderttausende von diesen puscheligen Vierbeinern leben in deutschen Haushalten, vorrangig gehalten als Kuscheltiere. Das ist das erste Missverständnis, unter dem sie leiden. Denn Kaninchen sind von Natur aus Fluchttiere, mögen es daher überhaupt nicht, hoch gehoben zu werden. Doch noch viel schlimmer trifft es die durch Qualzucht auf besonders süß getrimmten Zwergwidder, Kleinwidder oder Mini Lops. Sie sollen aufgrund der lang herunterhängenden Ohren ganz besonders schnuckelig wirken. Zudem spricht ihre geringe Körpergröße unser Kindchenschema an – und damit unseren Wunsch, sie liebhaben und aufmerksam versorgen zu wollen. Doch wie sehr sie leiden, das bekommt trotz dieses ausgeprägten Versorgungswunsches kaum jemand mit.
Schlechtes Hörvermögen und häufige Ohrentzündungen
Denn erst aufwendige medizinische Untersuchungen zeigen, dass die meisten dieser Tiere unter dem angezüchteten abgeknickten Gehörgang sehr leiden. So wie eine abgeknickte Luftröhre das Atmen des Kaninchens behindern würde, leitet der hängende Gehörgang eben weniger Geräusche ins Gehirn. Und: Der Knick verhindert den Abfluss von Sekret, das sich im Gehörgang absetzt und den idealen Nährboden
für Infektionen bietet. Doch die nun in der Tiefe des deformierten Gehörgangs entstehenden Entzündungen werden in der Regel nicht bemerkt. Weder wird das Tier in irgendeiner Weise verhaltensauffällig, noch kann der Entzündungsherd bei einer Routine-Untersuchung unter dem abgelagerten Sekret erkannt werden. Womöglich liegt er sogar hinter dem Trommelfell und ist somit vollkommen unsichtbar. Die Folge kann Taubheit sein. Bereits ohne Erkrankung hören diese Kaninchen weniger als ihre Artgenossen mit Stehohren. Sie leben folglich so, als trügen sie ständig Ohropax.
Mehr Verletzungen bei Kämpfen
Rangeleien gehören zum Alltag von Kaninchen, denn so legen sie in einer Gruppe die Rangordnung fest. Für die Qualzucht-Rassen endet so ein Kampf häufig – anders als bei Stehohrkaninchen – beim Tierarzt. Denn sie können aufgrund ihrer bewusst herbeigeführten anatomischen Besonderheit nicht so reagieren, wie es ihren Artgenossen gelingt: Statt wie sie die Ohren einfach schützend nach hinten zu bewegen, sind ihre Schlappohren jedem Angriff schutzlos ausgeliefert. Mal genügt dann die Wundversorgung. Oftmals jedoch ist eine Amputation nicht abzuwenden. Bei Kaninchen mit Stehohren kommt es zu diesem Extremfall nicht.
Noch mehr Krankheiten und Beeinträchtigungen
Ein weiteres, häufig anzutreffendes anatomisches Merkmal der Qualzucht-Kaninchen ist ein runder Kopf mit einer flachen Schnauze. Das führt zu einer hohen Anfälligkeit für Zahnerkrankungen, die weitaus häufiger auftreten als bei Kaninchen mit Stehohren. Diese Erkrankung verursacht wiederum eine schwerwiegende Symptomatik des Tränenwegs in Form von Ausfluss aus Augen und Nase. Auch das Sichtfeld dieser Tiere ist deutlich eingeschränkt, weil die Ohren ständig im Weg hängen. Beeinträchtigt sind Qualzucht-Kaninchen ebenfalls bei der Regulation der Körpertemperatur über die Ohren. Daher: Es ist eine echte Gemeinheit, die genetische Fürsorge-Programmierung des Menschen für die Tierzucht auszunutzen. Wer einmal erkannt hat, welches Leid Qualzüchtungen auslösen, kann sich nur noch ausgenutzt fühlen. Wenn dieser Effekt bei immer mehr Tierhaltern eintritt, dürfte den verantwortlichen „Züchtern“ allerdings bald die Nachfrage ausgehen. Hoffen wir, dass diese Entwicklung schnell an Fahrt gewinnt. Unsere Informationen mögen mdazu beitragen.
Das Kindchenschema kurz erklärt
Das Kindchenschema ist nicht nur bei Menschen ausgeprägt. Auch andere höhere Tierarten reagieren auf kindliche Proportionen von Körper und Gesicht sowie andere Merkmale, die für ein Kind charakteristisch sind. Sie werden als Schlüsselreiz wahrgenommen und führen dazu, dass ein Fürsorgeverhalten ausgelöst wird. Mit diesem „Trick“ sorgt die Natur dafür, dass Eltern ihre Kinder beschützen und mit größter Aufmerksamkeit aufziehen. Erwachsene Menschen reagieren daher auf Merkmale wie Pausbacken und große Augen, eine vorgewölbte Stirn und einen kleinen Körper mit überproportional großem Kopf. Auch die noch tollpatschigen Bewegungen eines Kleinkindes lösen das Fürsorgeverhalten aus. Studien haben gezeigt, dass erwachsene Personen, die dem Kindchenschema entsprechen, als freundlich, jugendlich, gesund sowie fruchtbar und besonders attraktiv wahrgenommen werden. Deshalb wird der Effekt des Kindchenschemas auch in der Kosmetik eingesetzt.
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